Schlaf, Kindlein, schlaf by Annika von Holdt

Schlaf, Kindlein, schlaf by Annika von Holdt

Autor:Annika von Holdt [Holdt, Annika von]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 2012-05-26T17:00:00+00:00


16

Am Himmel waren schwarze Wolken in Aufruhr, und der Donner kam näher. Máire wurde immer nervöser, je weiter der Tag voranschritt. Um vier Uhr zeigte das Thermometer siebenunddreißig Grad. Und als der dunstige, schwüle Nachmittag seinem Ende zuging, hielt sie den Wagen an, stieg aus, trat in die sengende Hitze und ließ den Blick schweifen. Ihre Augen tränten, während sie festzustellen versuchte, ob es etwas Wichtiges zu entdecken gab. Sie massierte sich die Schläfen, an denen zwei bläuliche Adern schwach pulsierten.

Der Donner war schwächer geworden, aber der Tag wirkte noch wärmer als zuvor, denn die Schwüle hatte weiter zugenommen. Der Himmel war in ein tiefes Indigoblau getaucht, und die Bäume glichen im letzten Licht der untergehenden Sonne tanzenden Fackeln.

Máire kniff die Augen zusammen und spähte Richtung Baumstämme, wo der matschige Fahrweg weiter vorn in eine asphaltierte Straße überging, die in den Highway 404 mündete, den sie am Morgen gekommen war. Sie sog die warme, stickige Luft ein paar Mal tief ein.

Wo bin ich? Sie schüttelte den Kopf und befürchtete, sie würde nie wieder zurückfinden, wenn sie C.J. nicht fand. Wo zum Teufel bin ich?

»Und wo bist du, C.J.? Wo?«, fragte Máire ins Leere.

In der Ferne bellte heiser ein Hund, sonst war alles still. Sie hatte sich bemüht, nichts zu übersehen, versucht, durch die Hauswände hindurchzusehen, statt sie anzustarren. Sie war sehr gründlich gewesen. Sie hatte Ausschau gehalten, an den Türen geklingelt und allem und jedem C.J.s Personenbeschreibung gegeben. Sie hatte Grundstück um Grundstück abgeklappert, so gut es ging. Sie war mindestens zehn Kilometer zu Fuß gegangen, war auf den Knien gerutscht wie ein Fährtenleser in einem schlechten Cowboyfilm und hatte in der Erde gewühlt. Sie hatte Keller, Scheunen, Hütten und Wirtschaftsgebäude untersucht und zahllose Zutrittsverbote überschritten. Und trotz ihrer Bemühungen hatte sie keine Spur von C.J. gefunden, niemanden getroffen, der etwas gesehen, geschweige denn irgendetwas Außergewöhnliches entdeckt hatte. Ein einziges Grundstück war interessant, einsam gelegen, mit einem riesigen Haus mit Terrassen und Veranden, vier Säulen an der Frontseite – vollkommen versteckt in einem verwilderten Garten und groß genug, um ein Geheimnis zu verbergen, oder was immer hinter oder unter den Mauern vor sich ging. Doch nach einem Anruf beim Grundbuchamt war ihr klar, dass sie eine Niete gezogen hatte. Das Gebäude gehörte der Regierung, und nach einem ausführlichen Rundgang – oder eher etwas in der Richtung »Eindringen in öffentliches Eigentum« – stellte sie fest, dass es leer stand und unbewohnt war, wenn man von Ratten und Mäusen einmal absah. Nichts als eine perfekte Kulisse.

Später, als der Tag in den Abend überging und die Dämmerung von der Dunkelheit abgelöst wurde, musste sie die nackte Tatsache schlucken, dass sie keinen einzigen Schritt weitergekommen war. Sie tappte genauso im Dunkeln wie bisher. Ein Scheitern an einer unlösbaren Aufgabe auf der ganzen Linie. Es fiel ihr schwer zu akzeptieren, dass ihr Plan nicht aufzugehen schien. »Vielleicht kannst du C.J. ja herzaubern?«, fragte sie sich im Stillen. Abrakadabra.



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